Dienstag, 15. September 2009

Judith Hermann las im Schloss


Wer aufmerksam die Regionalzeitung gelesen hatte und ein wenig literaturinteressiert ist, dem ist sicherlich nicht entgangen, dass Judith Hermann sich gestern im Bad Mergentheimer Deutschordensschloss im Roten Saal die Ehre gegeben hat, aus ihrem neuen, mittlerweile dritten Buch "Alice" vorzulesen. Die 39jährige Berlinerin wurde 1998 mit ihrem Buch "Sommerhaus, später" auf einen Schlag berühmt, ihr Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Literaturförderpreis der Stadt Bremen und dem Kleist-Preis. 2003 kam ihr zweites Buch heraus, "Nichts als Gespenster", das in Auszügen auch für das Kino verfilmt wurde. Jetzt ist sie wieder da, mit einem neuen Buch, "Alice".

Was Judith Hermann so grandioses gelungen ist, ist erst einmal die Tatsache, dass sie es überhaupt geschafft hat, in so einem Genre wie Kurzgeschichten in Deutschlanf Fuß zu fassen. Während im angelsächsischen Raum die so genannten "Short Stories" sich großer Rezeption erfreuen, sind die Deutschen noch eher Romanleser und wagen sich selten an die kleinen, in sich abgeschlossenen Erzählungen, die sich oft nur über wenige Seiten erstrecken. Glücklicherweise gelang es in letzter Zeit immer wieder einigen Autoren, diese Sparte ein wenig wieder zu beleben, darunter beispielsweise Miranda July mit ihren "Zehn Wahrheiten", übrigens großartig und unbedingt zu empfehlen. Hoffen wir, dass es noch mehr mutige Schreiberlinge geben wird, die sich an diese Sparte der Literatur wagen!

Leise, eindringlich, sanft und mit einer sprachlichen Nüchternheit, die einen umgehauen hat, wusste Judith Hermann aus ihrem Buch vorzulesen. Gerade ihr Auge für das Detail und die Fähigkeit, Dinge auszudrücken, indem sie nicht darüber spricht, ist irgendwie unheimlich und weiß zu begeistern. In ihren Geschichten in dem Buch "Alice" geht es jeweils um den Tod einer Figur, einziges Bindeglied zwischen diesen ganzen Geschichten ist die Hauptfigur Alice, die damit klar kommen muss, dass die Menschen um sie herum sterben. Wie nimmt man so einen Moment denn in sich auf? Was bleibt von dem, der gehen muss? Wie kommt man mit diesen zwei Zeitebenen zurecht - auf der einen Seite bleibt die Zeit für den Sterbenden stehen, während auf der anderen Seite das Leben einfach weitergeht? Ungemein plastisch und greifbar lies Judith Hermann in ihrer zweiten Geschichte "Konrad" einen anfangs idyllischen Italienurlaub durch den Tod eines alten Freundes aus der Bahn geraten - Alice schwimmt am Ende der Geschichte im kalten See, sie "verliert den Boden unter den Füßen".

Judith Hermann machte Lust auf mehr (ich hab jetzt auch ein signiertes Exemplar ihres Debütwerkes, *freu*) und wusste auch bei der anschließenden Fragerunde auf eine verständliche und nachvollziehbare Art und Weise von ihrem Schreiben und ihrem Denken zu berichten. Ein bereichender Abend.

Aktuelle Lektüre: Stieg Larsson: "Vergebung"

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