Sonntag, 18. April 2010

"Goscior - der Zwischenweltler" am Mainfrankentheater


"Schönen Gruß aus'm Wald!". Mit dem Musical "Goscior - der Zwischenweltler" wartet das Mainfrankentheater Würzburg derzeit auf und entführt den Zuschauer mit einem wahren Effektspektakel in eine ganz andere Welt, nämlich in die Welt der Kobolde. Bernhard Stengele, der wieder einmal sein Händchen für flotte, eingängige und sehr gelungene Inszenierungen beweist, holt das gesamte Schauspielensemble des Mainfrankentheaters Würzburg auf die Bühne und erzählt eine mitreißende, amüsante und witzige Geschichte mit zahlreichen einfallsreichen Seitenhieben auf aktuelles Zeitgeschehen. Spritzige und genrelose Live-Musik einer Band mit Koboldmasken, ein einfaches, aber wirkungsvolles und schnell wandelbares Bühnenbild und sehr aufwändige, toll gestaltete Masken leisten ihren Beitrag zum Gelingen des in Würzburg welturaufgeführten Musicals "Goscior - der Zwischenweltler" aus der Feder von Frank Felicetti, der in Koboldmaske als Dollock gleich noch selbst eine Rolle übernimmt.

Die Handlung ist eher einfach und teilweise so klischeegerecht, dass man sich fragen könnte, wie dabei noch ein gutes Musical herauskommen soll: George und seine Freundin Maria gehen im Wald spazieren und entdecken einen roten Kristall, der den Kobolden gehört. Natürlich wissen die beiden das nicht, weil ja Menschen nicht an Kobolde glauben, und stehlen den magischen Stein, was den Zorn der Waldbewohner zur Folge hat. Während Maria mit dem Stein fliehen kann, wird George zur Strafe in Goscior verwandelt, ein Wesen zwischen Mensch und Kobold, das zwar aussieht und spricht wie ein Kobold, aber auch in der Menschenwelt sichtbar ist und keinerlei magische Kräfte besitzt. Natürlich will Goscior wieder zu George werden und macht sich auf in die Menschenwelt, um den Stein zurückzuholen. Leichter gesagt als getan, denn in der hektischen und grauen Großstadt ist kein Platz für Kobolde und Magie, außerdem kann sich Goscior nicht in der Menschensprache verständigen. Zur Seite stehen ihm die Rechtswächterin Rinja und Dollock. Und natürlich gibt es da noch eine uralte Prophezeiung, dass da eines Tages einer kommen wird, der als Bindeglied zwischen der Welt der Menschen und der der Kobolde dienen wird, denn einst lebten beide Völker zusammen, ja, waren gar nur ein Volk. "Doch die Menschen glauben nicht mehr an uns", beschwert sich Rinja, "sie haben keinen Sinn mehr für Magie." Goscior alias George gerät selbst in einen Gewissenskonflikt, denn er steht bald zwischen zwei Seiten...

Nun ja. Wie gesagt, Handlung eher 08/15. Das Motiv "Eindringling in fremde Welten und anschließender Gewissenskonflikt" kennen wir schon aus "Pocahontas" und in digitaler Neuauflage aus "Avatar", unter dem schwindenden Glauben an Zauberkraft und Magie litten bereits die Kindliche Kaiserin und Phantasien, Peter Pan und Nimmerland und Co. Doch Musik, Dialoge und Inszenierung gleichen diese Tatsache so kunstvoll aus, dass man "Goscior" einfach mögen muss. Eine tolle Musik mit teils witzigen, teils nachdenklich machenden Texten, ein wunderbar stimmiges Ensemble, das sichtbar Spaß und Freude an dieser Produktion zu haben scheint und wunderbare Anspielungen und Parodien auf aktuelles Zeitgeschehen gestalten den Abend wunderbar aus und machen die knapp zweieinhalb Stunden zu einem unvergesslichen Erlebnis. Zudem fährt das Mainfrankentheater einmal sein ganzes technisches Equipment auf - Rauchmaschine, Schwenklichter, Videoprojektionen, Liveband, Headphones (die am Anfang ein bisschen brauchen, bis man alles versteht), Lichteffekte und und und...


In bis zu fünf Rollen müssen die Schauspieler schlüpfen. Kai Christian Moritz gibt George und Gosicor und stellt sein stimmliches und schauspielerisches Talent eindrucksvoll unter Beweis, Anne Diemer gibt die durchtriebene und gierige Freundin Maria und überzeugt, wie zuletzt in Schillers "Parasit" auch durch ihre gesangliche Solonummer über den Tod der Märchen. Maria Vogt mimt putzig und flippig die Rechtswächterin Rinja, Musicalautor Frank Felicetti wirkt selbst mit als ruppiger Kobold Dollock. Der Rest des Ensembles wechselt zwischen Kobolden, Menschen, Pennern, gesichtslosen Allwissenden (eine der besten Nummern im ganzen Stück, weil Gesang, Bewegung und Regieeinfälle wunderbar zusammenspielen) und spielt jede Rolle wunderbar aus. Maria Brendel sorgt als ostdeutsche Oma, die das Wort "Münzeinwurf" nur allzu genau nimmt, für zahlreiche Lacher und sticht wieder einmal mit ihrer markanten Stimme und ihrem Können ein wenig heraus, Kai Markus Brecklinghaus darf rappen und "voll krasses" Deutsch sprechen und Anne Simmering wird wieder ihrer quirligen und verrückt-exzentrischen Darstellung gerecht, sehr zur Freude der Zuschauer.

Bernhard Stengele führt die Truppe sicher und gekonnt durch die Handlung, wie so oft überraschen einfache und trotzdem effektvoll Einfälle, wie Gummibänder an Händen und Füßen, die den anonymen Großstadtmenschen auf einer Privatparty marionettenhafte Züge verleihen, weiße Masken über den Gesichtern und sich drehende Figuren bei den allwissenden Mächtigen der Welt sowie stellenweises Spiel im Publikum. Auch die Band wird leicht mit einbezogen und kommt im Kobold-Look daher. Ein gelungener Streich, unterhaltsam, stimmig, durchsetzt mit ernsten Tönen und sinnvoll versteckter Kritik (man höre auf die Namen, mit denen in der Wohnung das "Light-System" gesteuert wird), eingängigen Liedern und Melodien und einer tollen Besetzung. Hingehen, mitfiebern, sich mitnehmen lassen - der Run auf die Karten ist groß, also nicht mehr lange warten! Mehr Infos gibt es auch hier.

Quelle der Bilder: Mainpost

Aktuelle Lektüre: Johann Wolfgang von Goethe: "Die Wahlverwandtschaften"

Keine Kommentare: