"Und Tartuffe?" - "Der Gute!". Erfüllt von Bewunderung fällt dem Hausherren Orgon (wie immer ungemein authentisch: Oliver Nägele) nach seiner Heimkehr vorerst nichts anderes ein, was er sagen könnte. Schließlich hat er an Tartuffe (Philip Dechamps) einen Narren gefressen und hält ihn für eine ausgezeichnete Partie für seine Tochter Mariane (Förderpreis 2017-Preisträgerin Nora Buzalka), auch wenn die ihr Herz an Valère (Gunther Eckes) verloren hat, sich aber letztendlich dem Willen des Patriarchen zu beugen hat. Was Orgon jedoch nicht ahnt: Tartuffe, einst als Taugenichts von der Straße geholt, hat sich längst zum heimlichen Chef des Hauses aufgeschwungen und sich auch Orgons Ehefrau Elmire (Sophie von Kessel) genähert. Für Mariane und ihre schlaue Zofe Doriane (mit herrlich trockenem Humor: Charlotte Schwab) steht fest: Tartuffe muss weg! Man versucht sich in einer Intrige, um Orgon die Augen zu öffnen...
"Hier ist ein Ort, an dem wir ungestört reden können", sagt eine der Figuren einmal im Verlauf des Stücks, hat damit aber keineswegs Recht. Das dunkle und holzgetäfelte Bühnenbild zeigt einen Hausflur, in dem sich vier Treppenaufgänge aus verschiedenen Richtungen begegnen, weswegen die Gespräche sprichtwörtlich "auf der Schwelle" stattfinden. Witziges Detail: die Auf- und Abgänge erfolgen völlig planlos, wer die Szenerie rechts oben verlassen hat, kommt auf einmal wieder von links unten hinauf oder umgekehrt. Tartuffe hat irgendwie alle kopflos gemacht. Die schlichten, in Schnitt und Form in die höfische Welt entrückten, gedeckt gehaltenen Kostüme entfremden gelungen und zitieren gleichzeitig behutsam historische Anklänge an die Zeit des Sonnenkönigs (einige Männer tragen Korsett) oder an die 20er, passend, da doch auch eine Ära des Niedergangs. Dass bei Molière, in Anlehnung an die ihn damals inspirierende die Commedia dell'arte, die scheinbar dummen Bediensteten eigentlich zuerst das Spiel durchschauen und eine bedeutende Rolle bei der Einfädelung der List spielen, hat Regisseurin Mateja Koležnik deutlich herausgearbeitet, ebenso wie die typischen Versteckspiele (in der Kulisse lassen sich mehrere Türen öffnen) und das gegenseitige Belauschen oder die Angst vor dem Belauschtwerden. Dass der Wortwitz von Molière und seine im Stück angelegten menschlichen Makel auch heute noch funktionieren, zeigt diese herrlich kurzweilige und amüsante Inszenierung des Residenztheaters München, was auch das ausverkaufte Haus am letzten Mittwoch bewies. Mag sich damals das höfische Publikum bereits vor Tartuffes wahrem Gesicht erschrocken haben, so lässt er auch im Resi irgendwann seine Maske fallen. Orgon, bei seinem ersten Auftritt nur vier Worte wiederholend wählend, ist am Ende sprachlos und stumm, nicht zuletzt, weil ihn der Schlag getroffen hat.
Aktuelle Lektüre: Rüdiger Safranski: "Romantik. Eine deutsche Affäre".
Zuletzt gesehene Serie: "Life in pieces" (amazon prime)
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