Samstag, 22. Mai 2010

Ein Handygespräch als Musical


Die Theaterwelt blickt derzeit wieder nach Berlin, wo seit einigen Tagen das alljährliche Theatertreffen statt findet. Zahlreiche namhafte Regisseure und Produktionen wurden wieder in die Hauptstadt eingeladen, wie etwa Roland Schimmelpfennigs Stück "Der Goldene Drache" (zu sehen heute Abend auf 3sat) oder Elfriede Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns" aus dem Burgtheater Wien. Gleich mit drei Stücken ist das Schauspiel Köln angereist, ebenso kreative Jungautoren, alte Hasen und natürlich viel Prominenz. Gegenwärtiges Thema auf den Bühnen ist natürlich die Wirtschaftskrise und es wird vielerorts gemunkelt, dass die Schauspielhäuser in dieser doch recht verfahrenen Situation wieder zu ihrer ursprünglichen Aufgabe als "moralische Anstalt" zurückfinden - Themen, die die Gesellschaft bewegen, aufgreifen, verarbeiten, kritisieren, anprangern. So ist es auch kaum verwunderlich, dass sich sehr viele der eingeladenen Produktionen mit diesem Thema auseinandersetzen. Wer die begehrten Preise bekommen wird, ist heute Abend ebenfalls auf 3sat zu sehen.

Doch auch internationale Gruppen und Produktionen bekommen Gelegenheit, sich auf der Plattform in Berlin zu präsentieren, eine davon ist das "Nature Theatre of Oklahoma". Diese Truppe verzichtet bewusst auf große Effekte, spannende erfundene Handlungen und fiktive Charaktere - das wahre Leben steht im Vordergrund und die Wirklichkeit soll auf die Bühne gebracht werden. So wunderte sich Kristin Worral, eine Freundin des Regisseurs Pavel Liska nicht schlecht, als sie von ihm einen Anruf auf ihr Handy erhielt und er sie bat "Erzähl mir dein Leben!". Das tat Kristin dann auch, blieb über 16 Stunden an der Strippe und berichtete ihre gesamte durchschnittsbürgerliche Biografie, Pavel zeichnete alles auf. Daraus entstand dann "Life and Times", die erste Folge "Episode 1" wurde auf dem Theatertreffen in Berlin gezeigt. Pavel Liska und seine Regiekollegin Kelly Copper transkribierten die gesamte Erzählung von Kristin Stück für Stück in sangbare Texte - die Authentizität wurde aber dabei gewahrt. Nichts wurde gekürzt, "ums" und "ehms" wurden beibehalten. In "Episode 1" wurden Kristins erste sechs Jahre erzählt, über drei Stunden dauert das. Von "realistischem Musiktheater" ist hier die Rede, mit den Klischees um die gängigen Broadwayshows wird bewusst aufgeräumt. "Episode 2" wird im Burgtheater Wien aufgeführt werden. Eine witzige Idee, über die sich sicherlich streiten lässt. Bewusst wird das Laienhafte, das durchschnittliche in den Vordergrund gerückt, in dem sich das Publikum wieder erkennen soll - Kristins Geschichte weist sicherlich zu jedem mindestens eine Parallele auf. Schon 2008 erhielt die Gruppe in Europa eine Auszeichnung und ist derzeit auf dem Weg nach oben - wir dürfen gespannt sein.

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