Samstag, 9. Januar 2010

Kritik eines Kritikers


"Ich nehme diesen Preis nicht an." Worte, die ihn wieder ins Gespräch brachten und mit denen er in den Medien für großes Aufsehen sorgte. Er gilt in der literarischen Szene als gefürchtet, was er in den Himmel lobt, muss man unbedingt lesen und was er gnadenlos verreißt, hat eigentlich keinerlei Chancen auf einen Platz auf der Bestsellerliste. Er schrieb jahrelang für "Die Zeit" und "Die Welt" und setzte mit seinem "Literarischen Quartett" im Zweiten Deutschen Fernsehen einen Meilenstein - vier Menschen diskutieren über ein Buch, ohne daraus vorlesen zu lassen, zu zitieren oder Filmeinblendungen zu zeigen. 385 Buchtitel wurden zwischen 1988 und 2001 auf diese Weise besprochen. Es gibt viele, die ihn mögen und schätzen, aber auch eine große Anzahl an Menschen, die ihn nicht leiden können.

Doch was Marcel Reich-Ranicki in seiner Biografie "Mein Leben" schreibt und berichtet, lohnt durchaus, gelesen zu werden. Nicht nur alleine der beachtliche Weg, den Reich-Ranicki in seinem Leben beschreiten musste, bis er einmal an die Position gelangte, die ihn so populär machte, sondern auch seine private Lebensgeschichte ist äußerst interessant und zeigt den Literaturmogul von bisher unbekannten Seiten. So wählte er beispielsweise selbst die Titelmelodie für das "Literarische Quartett" aus, ein Streichquartett von Beethoven - eben jener Satz, der sehr oft im Warschauer Ghetto von einem selbst und spontan gegründeten Kammerorchester gespielt wurde.
Von seinem Leben und dem harten Alltag im Warschauer Ghetto ist da die Rede, von seinem Verhältnis zu Berlin und der Theaterszene im Dritten Reich, von seinem großen Glück, das ihn vor dem Gas rettete und seinem Weg in die Literaturkritik im Deutschland der Nachkriegszeit. Sicherlich mögen einige Stellen ein wenig überraschen, etwa wenn er schreibt, dass ihm bereits als Jugendlicher die großen Fehler und Patzer in Schillers "Die Räuber" auffielen oder wenn er Karl May als einen schlechten Schreiberling abtut - da wird es passagenweise doch ein wenig hochnäsig. Doch er schreibt ebenso sehr offen über seine Vergangenheit als Jude und wie sich diese persönliche Geschichte auf sein späteres Leben ausgewirkt hat und warum er deshalb auch oft mit Vorurteilen oder sogar Fremdenfeindlichkeit zu tun hatte oder wieso er sich in manchen Situationen so benommen hat, wie man es vielleicht nicht erwartet hätte. Was Reich-Ranicki aber in der deutschen Literaturwelt und der Auseinandersetzung mit Primärliteratur alles getan und in Bewegung gebracht hat, sollte keinesfalls außer Acht gelassen werden. Monographien, Sammelausgaben, Textsammlungen, Verzeichnisse, Besprechungen, Werkausgaben, der ein oder andere Kanon, besondere Aufsatzsammlungen...die Liste ist beachtlich.

Ob nun wirklich alles, was ein Literaturkritiker von solchem Rang und Namen bewertet, auch so stimmt, muss natürlich immer fraglich bleiben. Sicherlich gibt es eine Ansammlung von Merkmalen, die Literatur in eine gute oder schlechte Richtung treiben, aber letztendlich ist das Erfahren von Literatur doch immer subjektiv, denn es liegt ganz daran, was einem ein Roman, Novelle oder Gedicht geben kann. Somit lohnt es sich durchaus auch einmal, ein Bändchen in die Hand zu nehmen, das von Reich-Ranicki abkandidelt wurde. Und "Winnetou" war gar nicht so schlecht. Zumindest die ersten drei...

Aktuelle Lektüre: Andreas Franz: "Der Finger Gottes"

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